Ich steige da gleich mit einem sehr praktischen Beispiel ein, wenn es um das Wort Gottes geht.

Lange Zeit konnte ich nicht unvoreingenommen den Passus im „Vater unser“ beten „Dein Wille geschehe“. Für mich war der Begriff „Dein Wille“ negativ geprägt, weil in meinen Erfahrungen seit der Kindheit der Wille anderer mit Missbrauch und Unterdrückung verbunden war. Leider nahm ich eine unzulässige Übertragung auf Gott vor. „Dein Wille geschehe“ war stets für mich mit den Ängsten besetzt, dass Gottes Wille nicht gut für mich sein könnte, dass er Dinge will, die mir schaden. (An dieser Stelle muss ich darauf hinweisen, dass es ein Unterschied ist, ob Gottes Wille nur meinem Willen nicht entspricht, oder ob sein Wille mir schaden würde).

Gottes Wille entspringt aus seiner Liebe. Er will mein Bestes, das weiß ich heute sehr genau. Das alles machte mir Gott eines Morgens deutlich, als er mir eine Erkenntnis durch seinen Heiligen Geist schenkte. Darin machte er mir bewusst, warum ich mich mit seinem Willen so schwertat, nämlich aus eben genannten Gründen. Ich betrachtete nun den Begriff aus der Perspektive von Liebenden. Das heißt, wenn ich Jemanden liebe möchte ich seine Wünsche an mich kennen und versuchen sie zu erfüllen, bzw. umzusetzen.

Seit diesem Morgen lasse ich dem Begriff eine neue Konnotation mitschwingen, mehr noch, ich tausche im Kopf „Wille“ (erstmal) aus gegen „Wunsch“. Das mache ich so lange, bis meine negativen Erfahrungen nicht mehr die geistliche Bedeutung von „Gottes Wille“ verfälschen. Das mag vielleicht aus der Sicht eines Theologen fragwürdig klingen, mir persönlich hilft es sehr, „dein Wille geschehe“ aus vollem Herzen, ohne Vorbehalte beten zu können.

Herzlichst, Ihre Brigitte Seidel